Kochen (fast) ohne Geld

Projekt: Kochbuch für Mosaik bei Goldmann / Was: Text, Rezept, Foodstyling (Foto: Barbara Bonisolli)

Teil 2 der Trilogie: Hervorragend kochen und dabei wenig Geld ausgeben.


kochen-fast-ohne-geld-sz-magazin-kolumnen-kochbuch-rezepte-mosaik-bei-goldmann-verlag-hans-gerlach-foodundtext0233 1Vorwort von Jan Weiler

Kochen ohne Geld heißt noch lange nicht Kochen ohne Geschmack. Gut, bei Studenten schon, oft jedenfalls. Erinnerlich ist mir in diesem Zusammenhang die Einladung zum Essen bei einem Freund vor über zwanzig Jahren. Wir waren jung, wir hatten kein Geld und mein Freund studierte Jura im ersten Semester. Er lebte in Bonn, genau gegenüber von der Gummibärchenfabrik und es roch immer nach Weingummi bei ihm, was ich störend fand, weil man in seiner kleinen Wohnung immer das Gefühl hatte, unter Übergewicht zu leiden. Dieser Freund studierte also Rechtswissenschaften, was nicht unbedingt die Geschmacksknospen anregt. Ich habe von Menschen gehört, die mit einer Sprache auch die jeweilige Lebensart studieren und die Esskultur schätzen lernen. Damit ist es in der Juristerei nicht weit her, man ernährt sich von Papier und Google und Red Bull und sieht aus unerfindlichen Gründen auf Kommilitonen herab, die „Regionalwissenschaften Südostasien“ studieren und sich gegenseitig auf das Feinste bekochen.

Dieser Jurastudent hatte also mit Kochen nichts im Sinn, aber mit Geld. Er achtete sehr genau darauf und führte darüber Buch, was er ausgab und wofür. Für Lebensmittel waren seine Investitionen erstaunlich gering. Kakerlaken können sich monatelang von der Gummierung einer Briefmarke ernähren, mein Freund brauchte lediglich dosenweise „Texas Feuerzauber“ und Bier zum Überleben. Frühstück, Mittagessen und Abendessen waren ihm unbekannt, er befüllte seinen Studentenschlund einfach alle acht Stunden mit dem mehr oder weniger flüssigen Inhalt seines Dosenvorrates.

Und dann lud er mich zum Essen ein. Meine Besorgnis bezüglich der Speisefolge wischte er hinweg, indem er mir eine großartige Nudelsauce versprach, mit welcher er noch jede Koptologie-Studentin beeindruckt habe. Das beruhigte mich einigermaßen. Als er mir die Tür öffnete, trug er eine Kochschürze, was mich noch mehr beruhigte, weil es darauf hindeutete, dass er tatsächlich kochte und nicht nur erhitzte. Ich setzte mich auf seine Couch und wartete eine Weile. Vorfreude empfand ich nicht, mehr eine Art wissenschaftliche Neugier auf das, was er in seiner Einmann-Küche anrichtete. Schließlich kam er mit zwei dampfenden Tellern herein und rief: „Voilà Monsieur: Penne mit BiFi-Sauce!“ Er stellte die Teller ab und jubelte: „Glamour und Geschmack für weniger als eine Mark pro Portion.“

Es war unbeschreiblich. Schlecht. Und. Furchtbar. Aber er liebte es. Mein Freund hatte aus einer Zwiebel, Ketchup, Tomatenmark, süßem Paprikapulver, Zucker und einer zerschnippelten BiFi-Minisalami eine Pampe angerührt, bei deren Geruch sich sogar der ansonsten allgegenwärtige Weingummigestank beleidigt verzog. Das erstaunliche an diesem Mahl, zu welchem er handwarmen Wermut einfachster Flaschenherkunft reichte, war aber nicht, dass es ihm schmeckte, sondern seine Begeisterung über den geringen Preis dieses Abendessens. Für ihn war günstig gut. Und zwar ganz unabhängig davon, wie es schmeckte.

Seit diesem traumatischen Abendessen, das sich wegen der schwierigen Verstoffwechselung der BiFi-Sauce über mehrere Tage ungut hinzog, war ich immer alarmiert, wenn jemand besonders günstiges Essen als ganz besonders gutes Essen anpries. Jahrelang eichte ich mich darauf, möglichst teuer zu speisen und mir dabei mit der Gewissheit den Bauch voll zu schlagen, dass nur gut ist, was auch viel kostet. Das stimmt aber nur mit Einschränkungen. Viele der berühmtesten Rezepte sind ganz billig und stammen aus der Volksküche. Arme-Leute-Essen sagt man dazu und es ist weltweit viel populärer als Reiche-Leute-Essen. Pizza ist so ein billiges, fast kostenloses Gericht. Eintopf auch. Die meisten Pastasaucen. Es kommt bloß darauf an, wie man die einfachen Zutaten zubereitet, dann schmecken sie auch Milliardären, die sonst keinen Apfel essen, der nicht mit Blattgold belegt wurde.

Kochen ohne Geld ist also keine Frage des Einkommens, sondern eine Frage der Haltung. Das habe ich begriffen, als ich mich mit Hans Gerlach anfreundete. Wenn er zum Eisessen einlädt, dann macht er nicht nur das Eis selber, sondern auch die Eiswaffeln. Dafür besitzt er ein sehr hübsches Eisen. Er kauft keine Glückskekse, er backt sie selbst und denkt sich mit seiner klugen Frau die darin verborgenen Sinnsprüche aus. Wenn Hans eine Suppe mit Würstchen macht, dann kauft er nicht einfach Würstchen, sondern bereitet sie selber zu. Bevor er einen Kräutersalat angeht, spaziert er durch seinen Garten und sieht nach, was darin Taugliches wächst. Er serviert auch Zufallsfunde wie Löwenzahn, selbst gemachtes Chutney oder Käse aus eigener Herstellung. Hans Gerlach probiert ständig aufs Neue, wie das Kochen funktioniert und meistens, so scheint es, geht es ganz leicht und erfordert weder große Investitionen noch hohen Aufwand.

Das bewundere ich sehr, denn bei ihm spielt nicht der materielle Wert der Zutat die wichtigste Rolle, sondern ihre Verwendbarkeit für ein Rezept. Auf diese Weise kann eine Gartenblume oder eine Kastanie oder ein Büschel Kresse viel kostbarer angesehen werden als ein teures Hühnchen vom Wochenmarkt, wobei Hans rein gar nichts gegen teure Hühnchen vom Wochenmarkt hat. Alles zu seiner Zeit.

Kochen ohne Geld, wie Hans es versteht, ist Kochen mit Respekt. Für Hans ist günstig nicht deswegen gut, weil es ihm Geld spart, sondern weil es ihn inspiriert, mehr noch: herausfordert. Ich mag an dieser Einstellung, dass Hans hier kompromisslos altmodisch denkt, auch wenn er sonst ein sehr moderner Mensch ist. Ich glaube, er würde in seinem Garten gerne auch Tiere halten, Zicklein mit Milch aufziehen, Kühen Bier einmassieren. Er würde sie verwöhnen, möglicherweise sogar unernste Ausflüge mit ihnen machen, wenn es ihnen hälfe, hernach den perfekten Braten abzugeben. Hansens Garten ist für die Tierhaltung aber zu klein und das ist ein Jammer für Ziegen und Kühe.

Falls Sie noch wissen wollen, was aus dem Freund mit der BiFi-Sauce geworden ist: Er arbeitet heute bei einem DAX-Unternehmen als Controller. Er hat sich esskulturell empor gearbeitet und manchmal isst er vom Teller, meistens aber gleich aus der Papierserviette. Er achtet nach wie vor besonders auf das Preis-Leistungsverhältnis seiner Mahlzeiten. Er tut dies aber aus ganz anderen Gründen als Hans.