Projekt: Kochbuch für Mosaik bei Goldmann / Was: Text, Rezept, Foodstyling (Foto: Barbara Bonisolli)
Teil 3 der Trilogie: Unsere Küche als Insel der Entschleunigung.
Gratuliere! Sie möchten selbst kochen – das ist die beste und wichtigste Entscheidung für Genuss und gesundes Essen. Sie und ich sind wohl eine kochende Minderheit, leider. Aber wir bestimmen, durch unsere Nachfrage, was in unserem Land frisch auf den Markt kommt. Dafür muss es nicht jeden Tag ein Menü sein und es schadet nicht, wenn sich ab und zu eine Fertigpizza in unserem Ofen findet. Das lässt sich auch kaum vermeiden, denn wir haben immer weniger Zeit. (Fast) alle Ereignisse unseres täglichen Lebens laufen immer schneller ab. Technische Fortschritte in Produktion, Transport und Kommunikation sorgen für weltweite Zusammenarbeit und Konkurrenz. Die wiederum verstärkt den Druck, noch schneller zu arbeiten. Doch Computer kochen nicht: In der Küche betreten wir eine natürliche Insel der Entschleunigung. Das wissen auch Werber, die nach dem Muster einer bekannten Whiskey-Marke, oft und gerne Industrieprodukte mit vorindustriellen, also langsamen, Produktionsbedingungen in Verbindung bringen. Denken Sie nur an die Milchkannen schwenkende Sennerin auf der archetypischen Käse-Alm oder den Gourmet mit Baskenmütze, Rotwein und Baguette als Symbol für französische Weichkäsekultur. In der Welt der Werbung ernten erstaunlich viele junge Frauen mit Rohrkörben allerlei Früchte des Feldes für Nussschnitten, Konfitüren oder Teebeutel.
Doch gerade weil viele eher gemächliche Prozesse zu einem fertigen Essen führen, stehen wir oft unter Zeitdruck, wenn wir selbst kochen wollen. Wie lösen wir dieses Problem? Und zwar ohne auf schlechtes Essen auszuweichen? Eine Antwort liegt auf der Hand: Wir kochen möglichst schnell. Doch die Geschwindigkeit, mit der Sie Zwiebeln schneiden, kann ein Kochbuch kaum beeinflussen und auch ein weiches Ei kocht immer ungefähr gleich lang. Das heißt: wir wählen geschickt Zutaten aus, die sich mit eleganten Zubereitungsmethoden möglichst schnell in feine Gerichte verwandeln lassen. Um diesen klassischen Ansatz der „schnellen Küche“ geht es mir im ersten Teil des Buches. Die Schwerpunkte in den drei ersten Kapiteln sind „Ultrahochgeschwindigkeitsküche“, „schnelle und gesunde Familienküche“ und der intelligente Einsatz von Halbfertigprodukten. Wenden wir die Prinzipien der schnellen Küche zusammen mit den Zeitmanagement-Methoden des Profikochs an, um Gäste zu bewirten, dann können wir auch größere Einladungen gut bewältigen. Beispiele finden Sie im vierten Kapitel.
Es gibt noch eine zweite, völlig andere Möglichkeit unseren Aufenthalt auf der Insel der Entschleunigung zu gestalten: Wir kochen zwar schon einigermaßen schnell, vor allem beschäftigen wir uns jedoch mit der Qualität der erlebten Zeit und nicht mit der absoluten messbaren Dauer von Kochvorgängen. Das klingt abstrakt, ist aber eigentlich ganz einfach: Kochen versetzt uns relativ leicht in einen „Flow“ – einen Bewusstseinszustand, in dem man völlig in der gerade ausgeführten Tätigkeit aufgeht. Während so eines Glückszustandes stehen wir scheinbar außerhalb der Zeit. Der Eintritt in den zeitfreien Modus bringt uns zur Ruhe. Die meisten Menschen erleben dieses zeitfreie Denken bei nonverbalen Tätigkeiten, etwa beim Malen oder beim Musizieren schreibt der amerikanische Soziologe Robert Levine in „Eine Landkarte der Zeit“. Kochen gehört natürlich auch zu diesen Tätigkeiten, die überwiegend von der rechten Gehirnhälfte gesteuert werden - während die linke Gehirnhälfte für Analyse und Zeitwahrnehmung zuständig ist. Rezepte die den „flow“ begünstigen, schlage ich Ihnen im zweiten Teil des Buches in Kapitel fünf und sechs vor. Im siebten und letzten Kapitel schließlich geht es um Zeitverschiebung, also um eingelegte Gemüse, Saucen und Ragùs: selbst gemachte hochwertige Fertigprodukte.
Die Feinheiten der Zeitwahrnehmung beschreiben Philosophen und Soziologen sicher genauer als ich. Als Koch fasse ich zusammen: Depse diem – Knete den Tag!